Die Zeit der großen Ballerei ist vorbei
- Claudio Michele Mancini
- 1. Mai 2013
- 2 Min. Lesezeit

Die Zeit der großen Ballerei ist in Corleone vorbei. Zwischen 1943 und 1961 wurden noch 52 Morde begangen und eine unbestimmte Anzahl Verbrechen, die als lupara bianca bezeichnet werden, als "weiße Schrotflinten". Das sind Morde, bei denen die Leiche nie gefunden wird. Dem Dorf brachte es den Beinamen Tombstone (Grabstein) ein, und den Hollywood-Regisseuren und Mafiaromanciers lieferte der Ort farbige Vorlagen.
Heute ist Corleone, das man von Palermo aus über eine gewundene Landstraße in einer halben Stunde erreicht, zumindest dem Anschein nach ein Dorf wie jedes andere. In den Vitrinen der Geschäfte liegen die neuesten Gucci-Brillen, und die Buchhandlung an der Piazza legt selbstbewusst Bücher zur Mafia aus. Nur hinter der Fassade stimmt die Idylle nicht. Jedes Haus, bestätigen Fahnder hinter vorgehaltener Hand, ist direkt mit dem Polizeikommando verkabelt - es gibt hier mehr Wanzen als Menschen.
"Die Mafia ist ein historisches Phänomen, das einen Anfang hat, eine Entwicklung und ein Ende. Heute sind wir fast am Ende angelangt." Mit diesen Worten eröffnete UN-Vizegeneralsekretär Pino Arlacchi im Dezember 2000 den UN-Kongress zur Organisierten Kriminalität in Palermo. Am Tag nach seiner Rede korrigierte er sich. Die Mafia sei vorübergehend inaktiv, könne aber jederzeit wieder aufblühen. Einen weiteren Tag später korrigierte er sich abermals. Die Mafia habe gar nie aufgehört zu existieren, sondern sei lediglich ruhiger geworden. Inzwischen hat Arlacchi sein UN-Mandat abgegeben, und der Streit um die wahre Natur der Mafia ist seither nicht abgeklungen. Für die einen ist die Ruhe ein klares Zeichen für die Krise, in der sich die Mafia befindet. Für die anderen bedeutet es das Gegenteil: Die Mafia hat gemerkt, dass sie auf Samtpfoten mehr erreicht als mit Dynamitstangen.
Für Palermos Oberstaatsanwalt Piero Grasso steht fest: "Die Mafia fühlt sich heute stark wie nie. Sie muss nicht mehr zur Gewalt greifen, um ihre Geschäfte zu tätigen." Die neue Mafia besinne sich, paradoxerweise, auf alte Werte: Sie verschwinde vordergründig aus dem öffentlichen Leben, weil sie gemerkt habe, dass die großen Attentate vor allem ihr selbst geschadet haben. Der Wille der Bevölkerung, sich gegen die Mafia aufzulehnen, sagt Grasso, sei nie so groß gewesen wie nach der Ermordung der beiden Richter Falcone und Borsellino vor zehn Jahren. "Heute erleben wir eine Rückkehr zur Antike, ein Revival der alten Strategien, der alten Denkmuster, des alten Verhaltenscodex: Infiltrieren und koexistieren statt von draußen den Staat und die Gesellschaft frontal zu bekämpfen - so lautet das Losungswort des neuen Jahrtausends."
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